Earthlings hat mich zur Veganerin gemacht. Ich wurde zwar zunächst nur Vegetarierin, nachdem ich mir den Film ansah, aber er hat mir dennoch auf den „richtigen“ Weg geholfen. Letztendlich wurde ich deshalb Veganerin, weil Earthlings mich dazu brachte mich noch mehr mit dem Thema zu befassen. Ich habe den Film seitdem immer wieder empfohlen, weil er über die Grausamkeiten aufklärt, die wir nichtmenschlichen Tieren antun und weil ich der Meinung bin, dass er das Potential hat viele Menschen von der veganen Lebensweise zu überzeugen. Auch in meinem Blog habe ich Earthlings ein paar mal erwähnt und empfohlen. Leider hatte ich vergessen, dass in dem Film zu Beginn auf einen Holocaust-Vergleich zurückgegriffen wird, der in der veganen Szene bekanntlich kontrovers diskutiert wird. Vor ein paar Jahren fand ich den Vergleich noch in Ordnung, daher fiel mir das damals nicht negativ auf. Aber ich sehe das schon eine ganze Weile anders und als ich kürzlich durch eine Facebook-Diskussion darauf aufmerksam wurde, habe ich beschlossen, dass ein Blogbeitrag eine gute Idee wäre, um meine Meinung zu dem Thema darzustellen.
Die Meinungen zum Holocaust-Vergleich in der veganen Szene
Nicht nur Earthlings, sondern Kampagnen von einigen Tierrechtsorganisationen oder auch einzelne Tierrechtler_innen vergleichen die Ausbeutung der nichtmenschlichen Tiere mit dem Holocaust und finden den Vergleich legitim. Andere hingegen, vor allem Veganer_innen, die sich als Teil der Tierbefreiungsbewegung sehen, sind der Ansicht, dass der Vergleich unpassend ist und den Holocaust relativiert. Die Hauptargumente der unterschiedlichen Sichtweisen und die sich daraus ergebenen gegenseitigen Vorwürfe beider Seiten möchte ich kurz in Stichpunkten gegenüberstellen:
Die Meinung der Tierbefreiungsbewegung:
- Tierfabriken und Holocaust sind nicht vergleichbar, da es bei ersterem um Ausbeutung und Profit geht und es sich bei letzerem um Genozid handelte
- Vergleich relativiert Holocaust, da diesem dabei der politische Hintergrund genommen wird und es sich nicht, wie bei der Ausbeutung der nichtmenschlichen Tiere, um ein ethisch-moralisches Problem gehandelt hat
- Vorwurf: die Befürworter_innen des Holocaust-Vergleichs verhalten sich antisemitisch, da sie den Holocaust relativieren und die Opfer verhöhnen
Die Meinung anderer Tierechtler_innen:
- Tierfabriken und Holocaust sind vergleichbar, da es um das Leid und die ähnlichen Gräueltaten (Experimente, Vergasen, Transport, etc.) geht und nicht um die Intention dahinter
- Vergleich relativiert Holocaust nicht, da Tierrechtler_innen Menschen und nichtmenschlichen Tieren den gleichen Wert zuschreiben. Somit werden Menschen nicht ab- sondern nichtmenschliche Tiere aufgewertet
- Vorwurf: die Gegner_innen des Holocaust-Vergleichs sind speziesistisch, da sie einen Unterschied zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren machen
Darf die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere nun mit dem Holocaust verglichen werden oder nicht?
Ich kann die zweite Position sehr gut verstehen. Auch ich bezeichne mich als Tierrechtlerin, mache zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren keinen Unterschied und war einmal dieser Meinung. Deshalb verstehe ich auch sehr gut, warum viele Tierrechtler_innen da ein paar Parallelen sehen. Auf keinen Fall würde ich sie per se als antisemitisch oder rechts bezeichnen, denn dahinter steckt meistens nicht die Absicht den Holocaust zu relativieren.
Andersherum kann die Ablehnung des Holocaust-Vergleichs aber auch nicht als Speziesismus bezeichnet werden, da es dabei nicht darum geht nichtmenschliche Tiere abzuwerten und Menschen als wichtiger einzustufen. Es geht darum Jüd_innen zu schützen. Zum einen schadet der Vergleich sowohl ihnen als auch dem Veganismus. Die meisten Menschen haben sich mit Tierrechten noch gar nicht auseinandergesetzt und werden daher den Vergleich missverstehen, denn nichtmenschliche Tiere sind in unserer Gesellschaft noch nicht so viel Wert wie Menschen. Auf Holocaust-Überlebende und Nachkommen von Menschen, die ihn erlebt haben, kann das deshalb sehr verletztend und demütigend wirken. Dadurch wird der Veganismus von vielen Menschen vielleicht sogar gänzlich abgelehnt. Zum anderen unterstützen wir damit rechte Ideologien. Denn noch immer ist Antisemitismus in den Köpfen einiger Menschen vorhanden und mit dem Vergleich helfen wir ihnen den Holocaust zu relativieren, auch wenn das überhaupt nicht die Absicht ist. Antisemit_innen greifen den Vergleich auf und verwenden ihn anders, nämlich nicht um nichtmenschliche Tiere auf- sondern um Jüd_innen gegenüber anderen Menschen abzuwerten. Zudem wissen wir, dass rechtsideologische Menschen immer wieder versuchen die vegane Szene zu unterwandern. Dazu dürfen wir ihnen keine Möglichkeiten bieten. Tierrechte schließen Menschenrechte mit ein. Um nichtmenschliche Tiere zu retten, sollten wir niemals Menschenrechte gefährden oder das Riskio eingehen Menschen tief zu demütigen. Meine Meinung ist daher ganz klar, dass wir den Holocaust-Vergleich unterlassen sollten. Diese Art von Aufmerksamkeit brauchen wir auch gar nicht, denn das Leid, das nichtmenschliche Tiere erfahren müssen, ist doch schockierend genug. Zudem gibt es viel bessere und erfolgsversprechendere Ideen, um die Argumente für Tierrechte und die vegane Lebensweise zu verbreiten. Aufmerksamkeit kann auch z.B. durch Tierkörper-Aktionen erregt werden.
Würde ich den Film Earthlings noch empfehlen?
Die Frage kann ich nicht so leicht beantworten. Einerseits hat Earthlings das Potential Menschen von der veganen Lebensweise zu überzeugen, da er die Grausamkeiten an nichtmenschlichen Tieren zeigt. Andererseits werden diese am Anfang mit dem Holocaust verglichen, was ich aus oben genannten Gründen für falsch halte. Den Film gibt es bereits seit vielen Jahren. Und ich verurteile die Menschen, die den Film gemacht haben, nicht dafür, denn dieser entstand lange bevor das Thema in der Szene so stark diskutiert wurde. Ich musste mich auch erstmal näher damit beschäftigen, um meine Meinung zu ändern. Das gestehe ich auch anderen zu. Ob ich Earthlings noch einmal empfehlen werde, weiß ich nicht genau. Es kommt auf die Personen an und wenn dann nur eingeschränkt, also mit dem Vermerk, was ich an dem Film nicht in Ordnung finde und warum. Von dem Holocaust-Vergleich distanziere ich mich.
2 Kommentare zu “Warum ich den Film Earthlings nicht mehr uneingeschränkt empfehlen kann”
Hallo Jessica,
welch ein toller Beitrag. Ich schreibe gerade einen Blogbeitrag und bin dabei nochmal über den Film gestolpert. Auch für mich war er der (damalige) Einstieg zum Veganismus. Trotz oder vielleicht sogar wegen dem Vergleich. Der war so hart, dass er mich tief berührt hat und lange nicht aus meinem Kopf wollte, auch wenn ich es, wie du, heute anders sehe. Ich glaube, das ein zu radikales Vorgehen nicht hilft. Ich koche immer für die Menschen in meiner Umgebung und lass sie schmecken wie gut vegan sein kann. Mit radikalen Äußerungen treffe ich häufig auf Gegen-und Abwehr.
Danke für den Artikel und liebe Grüße
Vanessa
[…] in die Kritik geriet und so gewaltvoll war, das selbst eingefleischte Veganer ⇲ diesen Film von sich weisen bzw. nur uneingeschränkt weiter empfehlen würden. Ob man solch grausige Dokus – Holocaustrelativierung inbegriffen, schon Kindern […]