In meiner Kindheit, aber auch in den Jahren danach, gab immer wieder Momente, die zeigten, dass mir Tiere eigentlich nie egal waren. In meiner Familie wird relativ viel Fleisch gegessen und daher habe ich Fleisch als eines der wichtigsten Bestandteile in der Ernährung wahrgenommen. Wahrscheinlich habe ich es damals deshalb noch nicht hinterfragt. Ich kann mich noch genau an eine Familienfeier erinnern, auf der es Spanferkel gab. Obwohl ich Fleisch aß, sah für mich dieses kleine tote Tierkind überhaupt nicht lecker aus. Ich habe mich vor diesem geekelt und konnte es nicht essen. Anderes Fleisch ging natürlich weiterhin, solange es mir möglich war zu verdrängen, dass es ebenfalls von einem toten Tier stammt. Zudem kann ich mich noch gut daran erinnern, dass ich Hähnchenkeulen nicht essen konnte. Die hatte ich am Anfang meines Studiums in der Mensa das erste Mal auf meinem Teller liegen und kaum herunterbekommen, weil ich mich so sehr davor geekelt habe. Vor gegrillten ganzen Hähnchen, die in diesen Imbissbuden hängen, habe ich mich auch schon immer geekelt, denn da ist ja noch fast das ganze Tier erkennbar. Besonders eklig empfand ich es aber, wenn eine Person in meinem Beisein ein solches Hähnchen gegessen hat und auch noch betont hat, wie lecker vor allem die Haut schmeckt. „Haut… sowas habe ich auch… igitt!“, dachte ich mir. Anderes Fleisch war natürlich weiterhin ok und habe ich auch sehr gerne gegessen, solange eben keine Knochen oder ähnliches dran waren bzw. noch das Tier erkennbar war. Fisch hat mir nie wirklich geschmeckt und habe ich daher nur ganz selten gegessen. Wenn eine Person neben mir einen ganzen Fisch auf dem Teller hatte, fand ich es auch schon immer sehr eklig und konnte nicht hinsehen. Vor allem das scheinbar starrende Auge des Fisches empfand ich als sehr unangenehm.
Im Teenager- und sehr jungen Erwachsenenalter mied ich Fleischtheken. Obwohl ich damals sehr gerne Fleisch gegessen habe, war mir der Anblick des vielen rohen Fleisches und der Geruch nach Blut dennoch irgendwie unangenehm. Als ich ungefähr 16 Jahre alt war, hat sich eine damalige Freundin von mir entschieden vegetarisch zu leben, nachdem sie den Film „Ein Schweinchen namens Babe“ gesehen hat. Ihre Gründe fand ich eigentlich sofort plausibel und ich hätte es am liebsten auch gemacht, empfand es damals aber als zu schwierig das in meiner Familie durchzusetzen und habe es nach ein paar Tagen aufgegeben. Ich muss zugeben, dass ich es gar nicht so richtig versucht habe, aber der Gedanke war kurz da. Ich denke, ich war einfach nicht überzeugt genug, denn die Argumente, die mich heute überzeugen, kannte ich damals leider noch nicht. Eines Tages, ich glaube ich war schon volljährig, saß ich mit meiner Familie in einem Restaurant und als mein Vater meinte, dass wir wenigstens das Fleisch aufessen sollten, weil dafür Tiere gestorben sind, wurde mir sehr unwohl. Wahrscheinlich, weil mir in dem Moment vor Augen geführt wurde, dass es sich um ein Stück eines Tieres handelt, das sterben musste, damit ich es essen kann. Ich wollte das einfach nicht wissen, damit ich es weiterhin verdrängen kann. Damals hatte ich zumindest irgendwie schon das Gefühl, dass Fleischessen möglicherweise nicht ok ist, aber so richtig überzeugt davon war ich wohl doch noch nicht und das Verdrängen hat ja weiterhin gut funktioniert.
Irgendwann machte ich mir jedoch mehr Gedanken darüber und jetzt, nachdem ich mich vor ein paar Jahren ausreichend informiert und nun auch schon mehrere Jahre kein Fleisch mehr gegessen habe, kann und will ich auch nicht mehr verdrängen, dass Fleisch ein Stück von einem toten und gequälten Tier ist. Genauso, wie ich mich damals schon vor einem Spanferkel und Hähnchenkeulen geekelt habe, ekel ich mich nun auch vor einem Schnitzel oder einer Wurst. Mit veganen Schnitzeln oder Würsten habe ich hingegen überhaupt kein Problem, denn die sehen ja nur so aus und schmecken ähnlich. Das Wissen, dass es sich nicht um ein Stück totes und gequältes Tier handelt, reicht mir aus, um es genießen zu können.
Hinzu kommt nun aber auch noch meine Überzeugung, dass das Essen von Fleisch und anderen tierlichen Produkten falsch ist. Wenn ich diese Produkte sehe, sehe ich empfindungsfähige Individuen, die gerne ein eigenständiges Leben in Freiheit gehabt hätten. Ich sehe Lebewesen, die entsetzlich gelitten haben für das, was da jetzt auf dem Teller bzw. Tisch liegt. Eine Feier mit einem Buffet, auf dem fast nur Speisen aus tierlichen Produkten zu finden sind, ist für mich, aufgrund meines großen Mitgefühls für die Tiere, niemals mit großer Freude verbunden, auch wenn ein veganer Salat dabei ist. Ich muss ständig an die leidenden Tiere denken. Ich reiße mich zusammen und lasse mir nichts anmerken, aber innerlich blutet mein Herz. Ich sehe durch ihre Augen und erlebe das, was sie erleben. Ich spüre ihre Angst und ihren Schmerz. Am liebsten würde ich alle anwesenden darauf hinweisen, was sie da tun, aber das wäre sinnlos, denn diejenigen, die sich mit dem Thema nicht befassen, können das nicht verstehen. Zudem würden sie mich wahrscheinlich für verrückt halten. Natürlich feier ich noch gern mit Nicht-Veganer_innen, denn ich verurteile nicht sie persönlich, sondern das Essen von tierlichen Produkten an sich. Ich ertrage daher ihnen zuliebe auch mal die eine oder andere Grillfeier mit viel Fleisch, nur kann ich das nicht kurz hintereinander. Ich brauche danach einfach erstmal eine Pause.
Vor mehreren Jahren, als ich noch Fleisch gegessen habe, hatte ich mal einen gruseligen Traum. Ich lebte plötzlich in einer Welt, in der es normal war, menschliche Kinder im Keller gefangen zu halten und irgendwann zu schlachten und zu essen. Ein richtig schlimmer Alptraum, aus dem ich damals weinend aufgewacht bin. Das schlimmste war, dass ich, obwohl ich in diesem Traum immer wieder versucht habe allen zu erklären, dass Kinder auch Gefühle haben, dass sie gerne ein Leben hätten und mit Spielsachen spielen möchten, die Erwachsenen überhaupt nicht einsichtig waren. Ich war total verzweifelt. Ich saß mit ihnen am Tisch. Sie haben wirklich alle Kinderfleisch gegessen und sie waren sehr empört darüber, dass ich es nicht essen wollte. Weil ich nicht erfolgreich war sie zu überzeugen und nicht einfach zusehen konnte, habe ich in unbeobachteten Momenten versucht die Kinder aus dem Keller zu befreien und zu verstecken, was mir nur teilweise gelungen ist. Irgendwann bin ich endlich aufgewacht. Zum Glück. Seit ich vor ein paar Jahren begann mich über unser Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren Gedanken zu machen, bin ich jedoch wieder in diesem Alptraum. Es ist nun aber viel schlimmer, weil der Alptraum Realität ist und ich, jedenfalls in naher Zukunft, nicht aufwachen werde.
Jetzt werden sicher einige meinen, dass das nicht das Gleiche ist. Für mich ist es aber das Gleiche, denn es fühlt sich einfach genauso an, seit ich mich mit dem Thema beschäftigt habe und ich denke, dass die meisten Menschen es ähnlich sehen würden, wenn sie das auch getan hätten. Ein paar Jahre zuvor habe auch ich einmal gesagt: „Vegaaan? Das könnte ich nie!“ Ja, wirklich! 😀 Ich weiß also, wie es ist, wenn das, was Veganer_innen sagen nicht ganz nachvollziehbar erscheint. Ich dachte damals, dass ich eine andere Meinung zu dem Thema hätte, weil ich nicht wusste, dass ich nicht annähernd alle Informationen und Argumente kannte. Ich bin da also auch nicht anders. Ich habe mich bloß irgendwann zufällig informiert und dann eine Entscheidung getroffen, die wohl die meisten Menschen unter den gleichen Vorraussetzungen treffen würden. Es bedarf wirklich einer umfangreichen Auseinandersetzung mit dem Thema, um es auch nur annähernd verstehen zu können. Und ich bin mir sicher, dass 80-90 % aller Menschen, die sich richtig informieren, vor allem über Tierrechte, danach zumindest kein Fleisch mehr essen wollen. Diejenigen, die sich nicht damit beschäftigen, bringen sich, meiner Meinung nach, unbewusst um etwas, dass sie eigentlich gerne wollen würden, wenn sie es nur wüssten. Das finde ich sehr schade und sehr traurig, angesichts des großen Leids, das dadurch unnötigerweise bestehen bleibt. Die meisten Menschen verdrängen, wie auch ich es getan habe, dass für ihren Konsum empfindungsfähige Tiere leiden, weil es nicht im Einklang mit ihrer Moral ist und sie das unterbewusst schon spüren, denn sonst wäre verdrängen ja gar nicht nötig. Ich wünschte, ich hätte alles viel eher gewusst und ich bin nicht die Einzige, die das sagt. Diejenigen, die die Gründe für eine vegane Lebensweise kennen und auch ausführlich durchdacht haben, finden diese nicht mehr übertrieben. Denn ihnen ist klargeworden, dass vegan zu leben verantwortungsvoll und die moralisch richtige Entscheidung ist.
Von einigen Menschen weiß ich, dass sie das Tierleid gerade deshalb weiterhin verdrängen möchten, weil sie schon die Ahnung haben, dass sie, nachdem sie sich mit dem Thema beschäftigt haben, eventuell vegan oder vegetarisch leben wollen würden. Sie haben Angst, dass sie dann ihr Essen nicht mehr genießen könnten. Veganismus bringen sie nämlich mit Verzicht in Verbindung, aber auch nur, weil sie die meisten Lebensmittel überhaupt nicht kennen und nur auf unsere sehr beschränkte Lebensmittelauswahl schauen. Jenseits des typischen Speiseplans der westlichen Welt gibt es jedoch noch so viele Lebensmittel und Zubereitungsarten, die ausprobiert werden können. Der Umstieg zur veganen Ernährung ist also eher eine Entdeckungsreise, die viel Freude bringen kann und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich vor meiner veganen Zeit nicht annähernd so gut gegessen habe, wie jetzt. Essen ist für mich sehr wichtig. Ich bin ein Gourmet und es muss mir schmecken, sonst bin ich nicht zufrieden. 😉 Zudem schmeckt das Essen, das auch so schon gut schmeckt, noch einmal viel besser, weil ich weiß, dass dafür keine Tiere leiden mussten.
Ich kann auch verstehen, dass viele weiterhin verdrängen wollen, weil die Realität sehr grausam ist. Für mich ist es auch nicht leicht ständig mit dem Leid konfrontiert zu sein. Aber genau deshalb ist es wichtig, dass wir Teil der Veränderung sind, denn je mehr mitmachen, desto schneller schaffen wir es diese Grausamkeit zu beenden. Ja, eine moralischere und gewaltlosere, also bessere Welt ist wirklich möglich und jeder Mensch, der nicht mehr verdrängt und dadurch sein eigenes Verhalten ändert, trägt ein wenig zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft bei. Es wird auch zunehmend schwieriger alles zu verdrängen, da wir mittlerweile immer häufiger mit einem Stückchen Wahrheit konfrontiert werden. Sei es, weil die Anzahl vegan und vegetarisch lebender Menschen stetig steigt und es immer unvermeidlicher wird ihnen aus dem Weg zu gehen, oder weil in den Medien zunehmend mehr über das enorme Leid berichtet wird. Letztendlich gibt es, meiner Meinung nach, sowieso kein Entkommen. Immer mehr Menschen können und wollen die Realität nicht mehr verdrängen. Sich diese einzugestehen und zu handeln fühlt sich so viel besser an und ist mit einer sehr großen Erleichterung verbunden. Bei mir war es so und ich bin mir sicher, dass es bei den meisten anderen Veganer_innen genauso war.
Der Veganismus hat meinem Leben zudem einen Sinn gegeben. Ich war früher immer auf der Suche nach einem Sinn. Ich habe viel ausprobiert und dennoch fehlte mir etwas, weil nur so vor mir herleben und an mich selbst denken einfach nicht mein Ding ist und ich glaube, dass es vielen so geht. Das Wissen Teil einer Veränderung, ja Verbesserung der Welt, zu sein erfüllt mich mehr als eine besondere Urlaubsreise oder ein teures Handy. Statussymbole mag ich gar nicht mehr und wenn der Sinn des Lebens gefunden wurde, sind diese, meiner Meinung nach, auch nicht mehr nötig. Ich erfreue mich nun an den kleinen Dingen des Lebens und bin die Person geworden, die ich sein möchte. Eine Person, die Mitgefühl und Respekt gegenüber menschlichen und nichtmenschlichen Individuen empfindet, Verantwortung übernimmt und mithilft die Welt gerechter zu machen. Die Entscheidung, eine solche Person zu werden, kann jede_r treffen. Ich kann jedem Menschen nur raten, sich einen Ruck zu geben und sich einfach mal darauf einzulassen, sich also völlig vorurteilsfrei mit dem Veganismus und speziell mit Tierrechten auseinanderzusetzen. Dies kommt nicht nur den nichtmenschlichen Tieren zugute, sondern wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die eigene Persönlichkeit sehr lohnen!
„Only if we understand can we care. Only if we care will we help. Only if we help shall all be saved.”
(Jane Goodall, Schimpansen-Forscherin)