Ein häufiges Argument gegen die vegane Ernährung ist, dass diese den Nährstoffbedarf nicht decken könne und somit zu Mangelerscheinungen führe. Besonders häufig werden Protein, Eisen, Calcium, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12 genannt. Auf diese Nährstoffe werde ich etwas näher eingehen.
Protein
Der Mythos, dass Protein nur in Fleisch enthalten ist, hält sich hartnäckig. Das liegt wohl daran, dass in unserer Kultur Fleisch die Hauptproteinquelle ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass keine anderen Proteinquellen existieren. In Indien z.B. sind Hülsenfrüchte die Hauptproteinquelle. Wenn wir den typisch deutschen Speiseplan beibehalten und das Fleisch streichen ohne andere Proteinquellen hinzuzufügen, würden wir evtl. tatsächlich einen leichten Proteinmangel bekommen. Die meisten vegetarisch oder vegan lebenden Menschen haben sich jedoch vor der Ernährungsumstellung informiert und ihren Speiseplan um proteinhaltige pflanzliche Lebensmittel erweitert. Zu diesen zählen z.B. Tofu, Seitan, Hülsenfrüchte, Kohlgemüse, grünes Blattgemüse, Nüsse, Quinoa und Hirse. Eine Versorgung mit Protein ist folglich kein Problem, sofern diese Lebensmittel häufig konsumiert werden. Sogar eine aus überwiegend Protein bestehende Low-Carb-Ernährung ist vegan möglich. Räuchertofu enthält z.B. mit 19,1 g Protein ungefähr genauso viel wie Fleisch. Es ist jedoch nicht notwendig sehr viel Protein zu sich zu nehmen. Erwachsene sollten ca. 0,8 g Protein je kg Körpergewicht zuführen. Omnivor lebende Menschen verzehren im Durchschnitt fast doppelt so viel und das kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken.
Häufig wird gesagt, dass pflanzliches Protein nicht so hochwertig sei wie tierliches Protein. Das ist ebenfalls ein Mythos, denn alle essentiellen Aminosäuren kommen in pflanzlichen Lebensmitteln vor. Zwar sind nicht immer alle in einem Lebensmittel erhalten, aber es wird selten nur ein einziges Lebensmittel konsumiert. Hülsenfrüchte ergänzen sich z.B. sehr gut mit Getreide oder Kartoffeln und es müssen nicht einmal alle essentiellen Aminosäuren in einem einzigen Gericht vorkommen. Soja, Lupine und Quinoa enthalten sogar alle essentiellen Aminosäuren. Die Wahrscheinlichkeit nicht alle zu erhalten ist also sehr gering, sofern genug Proteinquellen auf dem Speiseplan vorhanden sind.
Tierliches Protein enthält zudem mehr schwefelhaltige Aminosäuren. Diese sollen unseren Organismus übersäuern. Was das bedeutet und was das für Folgen hat, werde ich im Abschnitt „Calcium“ näher erläutern.
Eisen
Eisen soll angeblich hauptsächlich in Fleisch enthalten sein. Auch dies ist ein Mythos, denn zum einen enthält Fleisch gar nicht so übermäßig viel Eisen wie viele Menschen denken, zum anderen gibt es viele pflanzliche Quellen. Eisen ist meistens in den Lebensmitteln enthalten in denen auch Protein enthalten ist. Z.B. sind Tofu, Seitan, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Kohlgemüse sowie grünes Blattgemüse gute Eisenquellen und es gibt noch viele weitere. Bei der Eisenaufnahme durch pflanzliche Quellen ist jedoch folgendes zu beachten:
Das Nicht-Häm-Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln hat eine geringere Bioverfügbarkeit als das Eisen aus tierlichen Produkten, da das pflanzliche Eisen zuerst umgewandelt werden muss. Zudem enthalten pflanzliche Eisenquellen oft Hemmstoffe, wie z.B. Phytate in Getreide und Hülsenfrüchten. Die Bioverfügbarkeit des Eisens aus Pflanzen wird jedoch mithilfe von z.B. Vitamin C oder anderen organischen Säuren aus Obst und Gemüse verbessert und die hemmende Wirkung reduziert, so dass der Unterschied zum Eisen aus tierlichen Quellen nicht mehr so groß ist. (Quelle: ADA position paper 2009, PDF). Es sollte daher darauf geachtet werden, dass pflanzliche Eisenquellen zusammen mit Vitamin C zugeführt werden. Möglich ist dies z.B. durch Gemüse (z.B. Paprika, Brokkoli) als Beilage, durch Obst (z.B. Orange, Kiwi) als Dessert oder mithilfe eines Getränks (z.B. Orangensaft) zur Mahlzeit. Diejenigen, die viel Gemüse und Obst konsumieren, brauchen sich keine großen Sorgen machen. Alle anderen sollten darauf achten ihren Speiseplan entsprechend zu erweitern.
Weiterhin kann sich der Organismus an eine geringere Eisenaufnahme, durch Steigerung der Absorption und Senkung des Verlustes, anpassen. Zudem sind Vegetarier_innen nicht häufiger von einem Eisenmangel betroffen als Fleischesser_innen. Auch wenn Fleischesser_innen im Durchschnitt einen höheren Eisenspiegel aufweisen, sind Vegetarier_innen dennoch im Normbereich. (Quelle: ADA position paper 2009, PDF)
Nicht-Veganer_innen sind möglicherweise häufiger von einem Eisenmangel betroffen, sofern viele Milchprodukte konsumiert werden. Die Hemmung der Eisenaufnahme durch Milch ist schlimmer, weil diese selbst kaum Eisen enthält. Dies passt zu den Aussagen vieler Veganer_innen, dass sie nun besser mit Eisen versorgt seien als vor der Ernährungsumstellung. Inhaltsstoffe in Kaffee und schwarzem Tee hemmen die Eisenaufnahme ebenfalls sehr stark und sollten nicht zu häufig konsumiert werden bzw. nicht zusammen mit eisenhaltigen Mahlzeiten.
Es gibt Hinweise (z.B. 1, 2) darauf, dass zu viel Häm-Eisen aus Fleisch Krebs verursacht. Die Aufnahme des Eisens aus Pflanzen kann vom Organimus gesteuert werden, die Aufnahme des Häm-Eisens aus tierlichen Quellen hingegen nicht.
Calcium
Häufig werden Veganer_innen gefragt, woher sie ihr Calcium bekommen, wenn sie keine Milchprodukte konsumieren. Es gibt sehr viele pflanzliche Calciumquellen, wie z.B. Brokkoli, grünes Blattgemüse, Soja und Nüsse.
Dass Milch eine gute Calciumquelle ist, ist übrigens ein Mythos, der wissenschaftlich widerlegt wurde. Jedem Menschen dürfte bekannt sein, dass Calcium wichtig für unsere Knochen ist. Ein Mangel kann im schlimmsten Fall Osteoporose zur Folge haben. Milch enthält bekannterweise viel Calcium, folglich wird diese als beste Calciumquelle empfohlen. Mehrere wissenschaftliche Studien (z.B. 1, 2) kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass ein geringer Milchkonsum das Risiko für Knochenbrüche nicht erhöht. Sowohl Milch als auch andere Calciumquellen konnten das Risiko scheinbar auch nicht senken. Wenn ein Calciummangel durch die Zuführung von Calcium nicht behoben werden kann, muss es einen anderen Grund für den Mangel geben, z.B. dass einige Lebensmittel dem Organismus möglicherweise mehr Calcium entziehen als wir zuführen können. Tatsächlich kamen Studien (z.B. 1, 2, 3, 4) zu dem Ergebnis, dass mit der Nahrung zugeführtes tierliches Protein zum einen Osteoporose fördert und zum anderen die Calciumausscheidung erhöht. Die Theorie der Wissenschaftler_innen ist, dass tierliches Protein aufgrund der schwefelhaltigen Aminosäuren den Organismus übersäuert, während pflanzliches Protein eher Basen als Säuren erzeugt. Zum Glück kann unser Organismus mithilfe verschiedener Puffersysteme das Säure-Basen-Gleichgewicht aufrecht erhalten, da wir sonst sterben würden. Wenn jedoch zu viel Säure ausgeglichen werden muss, wird das Calcium aus den Knochen gelöst und anschließend ausgeschieden, sofern keine anderen Basen zur Verfügung stehen. Der Abbau der Knochenstruktur erfolgt auf diese Weise langsam und hat nach vielen Jahren Osteoporose zur Folge.
Etwa 30 % des Calciums in der Milch soll in einer für unseren Körper verfügbaren Form vorhanden sein. Wahrscheinlich liefert Milch uns sogar weniger Calcium, als durch die Calciumausscheidung anschließend verloren geht. Dies deckt sich mit dem Wissen, dass Osteoporose in Ländern mit hohem Milchkonsum viel häufiger vorkommt als in Ländern, in denen Milch nicht oder wenig konsumiert wird. Da Veganer_innen kein tierliches Protein zu sich nehmen, dürften sie folglich sogar einen etwas geringeren Calciumbedarf haben.
Omega-3-Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren sollen angeblich nur in Fischen vorkommen, weshalb häufig der Verzehr dieser empfohlen wird. Es müssen jedoch keine Fische konsumiert werden, denn es gibt auch gute pflanzliche Quellen. Zu diesen zählen z.B. Leinsamen, Leinöl, Walnüsse, Walnussöl, Hanfsamen, Hanföl, Rapsöl und Chiasamen. In pflanzlichen Lebensmitteln kommt hauptsächlich die α-Linolensäure (ALA) vor, jedoch kann unser Körper aus dieser die Eicosapentaensäure (EPA) und die Docosahexaensäure (DHA) selbst synthetisieren. Die einzigen pflanzlichen Quellen für die EPA und die DHA sind Algen. Von diesen erhalten Fische übrigens ihre Omega-3-Fettsäuren. Lebensmittel, welche Omega-3-Fettsäuren enthalten, sollten, sofern noch nicht vorhanden, unbedingt in den Speiseplan aufgenommen werden. Wichtig ist vor allem auch das Verhältnis von Omega-6-Fettsäuren zu Omega-3-Fettsäuren. Werden zu viele Omega-6-Fettsäuren aufgenommen, kann der Körper weniger Omega-3-Fettsäuren aufnehmen bzw. weniger ALA in EPA und DHA umwandeln, weil für die Verarbeitung beider Fettsäure-Typen die gleichen Enzyme zuständig sind. Das ideale Verhältnis von Omega-6-Fettsäuren zu Omega-3-Fettsäuren soll der DGE zufolge etwa bei 5:1 liegen. Integrieren wir die genannten Quellen häufiger in den Speiseplan, erhalten wir dieses ausgewogene Verhältnis.
Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend und senken das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Deshalb wird oft geschlussfolgert, dass Menschen mit einer geringeren Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Oft wird vor allem von einem positiven Effekt durch den Konsum von Fisch berichtet, jedoch wird dies hauptsächlich mit dem gängigen Fleischkonsum verglichen. Eine Ernährung, in der mehr Fisch und somit weniger Fleisch auf dem Speiseplan steht, schädigt unsere Gesundheit weniger als eine Ernährung mit mehr Fleisch. Jedoch bedeutet das nicht, dass Fisch gesund ist. Sowohl Fleisch als auch Fisch enthalten die entzündungsfördernde Arachidonsäure sowie Substanzen, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern. Ich finde, es liegt nahe, dass die Omega-3-Fettsäuren im Fisch viel mehr die negativen Eigenschaften teilweise ausgleichen und somit Fisch nur weniger schlecht ist als Fleisch. Ernähren wir uns vegan, also ohne Arachidonsäure und ohne die Substanzen, die eine Herz-Kreislauf-Erkrankung begünstigen, müsste es eigentlich noch gesünder sein und tatsächlich wurde dies von Studien (z.B. 1, 2) bestätigt. Trotz geringerer Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren ist der Arterienstatus bei vegan lebenden Menschen besser. Der Bedarf scheint bei einer veganen Ernährung folglich geringer zu sein, da die Omega-3-Fettsäuren nichts ausgleichen müssen.
Vitamin B12
Vitamin B12 ist der einzige Nährstoff, dessen Bedarf möglicherweise über eine rein pflanzliche Ernährung tatsächlich nicht ausreichend gedeckt werden kann. Oft wird das als Argument dafür genommen, dass eine vegane Ernährung deshalb nicht gesund wäre und zu Mangelerscheinungen führen würde. Jedoch gehört die Supplementierung von Vitamin B12 dazu. Ich hatte bereits erwähnt, dass eine vegane Ernährung, sofern richtig durchgeführt, die gesündeste Ernährungform ist. Ohne eine Supplementierung von Vitamin B12 wird die vegane Ernährung nicht richtig durchgeführt und ist möglicherweise tatsächlich nicht gesund. Es fehlen noch wissenschaftliche Untersuchungen und bis dahin gilt die Aufnahme von Vitamin B12 aus Pflanzen als nicht gesichert. Es muss nach der Ernährungsumstellung nicht sofort damit begonnen werden, weil sich über die Jahre ein Vorrat in der Leber angesammelt hat und dieser genutzt werden kann. Da jedoch nicht bekannt ist, wann dieser aufgebraucht ist, sollte spätestens nach 2-3 Jahren vorsorglich Vitamin B12 in Form von Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln (z.B. Sojamilch von Alpro) und Kosmetikprodukten (Zahnpasta mit Vitamin B12) zugeführt werden. Wer nicht vorsorglich Vitamin B12 nehmen möchte, sollte die Blutwerte regelmäßig testen lassen, damit reagiert werden kann, sobald es notwendig ist. Ein Mangel an Vitamin B12 kann zu irreversiblen Schäden führen.
Dies betrifft jedoch nicht nur Veganer_innen, sondern auch omnivor lebende Menschen. Es sind viel mehr Menschen betroffen, als es Veganer_innen gibt. Oft hat ein Mangel an Vitamin B12 körperliche Ursachen. Für die Aufnahme von Vitamin B12 ist der sogenannte „Intrinsic Factor“ notwendig, welcher von den Belegzellen in der Magenschleimhaut gebildet wird. Nur mit diesem kann das Vitamin B12 anschließend vom Darm aufgenommen werden. Eine ungesunde Ernährung kann zu Magen-Darm-Problemen führen. Diese können zum einen zur Folge haben, dass der „Intrinsic Factor“ nicht gebildet wird, zum anderen auch, dass der Darm das Vitamin B12 trotz „Intrinsic Factor“ nicht aufnehmen kann. Es mag Veganer_innen geben, die nicht auf eine Zufuhr von Vitamin B12 achten und somit gefährdet sind. Die Magen-Darm-Probleme, die zu einer verminderten Aufnahme von Vitamin B12 führen, kommen jedoch bei Fleischesser_innen vermutlich häufiger vor. Folglich sollten alle Menschen und nicht nur Veganer_innen das Vitamin B12 im Auge behalten.
Vitamin D
Ein sehr kritischer Nährstoff, welcher alle Menschen betrifft, ist das Vitamin D. Deshalb möchte ich noch kurz auf dieses eingehen. Vitamin D wird mithilfe von Sonnenlicht gebildet, sofern wir uns ausreichend häufig im Sonnenlicht aufhalten. Vielen Menschen gelingt dies jedoch nicht, sei es aus Bequemlichkeit oder aus beruflichen Gründen. In diesem Fall sollte das Vitamin D über Supplemente oder angereicherte Lebensmittel (z.B. Margarine) zugeführt werden. In Lebensmitteln ist der Gehalt an Vitamin D generell sehr gering. Vegane Lebensmittel mit einem geringen Gehalt an Vitamin D sind z.B. Avocados und Champignons.
Fazit
Wer vegan lebt oder leben möchte muss sich nur informieren und dann ein paar Regeln beachten, um mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein. Da wir jedoch nie genau wissen, ob wir mit unserer Nahrungsauswahl alle Nährstoffe 100-prozentig abdecken, leben wir nun vegan oder nicht, empfiehlt es sich gelegentlich ein Blutbild erstellen zu lassen. Sollte sich zeigen, dass bestimmte Nährstoffe nicht in ausreichender Menge vorhanden sind, kann der Speiseplan mit Lebensmitteln erweitert werden, welche diese Nährstoffe enthalten. Sollte sich z.B. bei einer vegan lebenden Person herausstellen, dass sie einen Eisenmangel hat, bedeutet dies nicht, dass sie ihre vegane Lebensweise aufgeben muss, sondern dass mehr pflanzliche Eisenquellen (denn es gibt genug!) sowie mehr Vitamin C auf dem Speiseplan stehen sollten.
Es ist also ein weit verbreiteter Mythos, dass die vegane Ernährung zu einem Nährstoffdefizit führt. Mit einer veganen Ernährung ist es sogar viel einfacher den Nährstoffbedarf zu decken. Veganer_innen nehmen im Durchschnitt weniger Nahrungsergänzungsmittel, trotz der Supplementierung von Vitamin B12. Fleischesser_innen sind häufiger von Nähstoffmängeln betroffen als vegetarisch oder vegan lebende Menschen.
Ich empfehle euch das Video einer Veganerin, die nach 1,5 Jahren veganer Ernährung ihre Blutwerte testen ließ, diese vorstellt und mit ihren vorherigen Werten vergleicht: Blutwerte bei veganer Ernährung